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Großelternbrief Nr. 14
Zitat:
Wer einen Menschen bessern will, muss ihn erst einmal respektieren.
Romano Guardini
Liebe Großeltern,
Seitdem ich erfahren habe, wie wertvoll Linsen für die Ernährung sind, steht diese Hülsenfrucht mindestens einmal wöchentlich auf unserem Speiseplan. Und dann merke ich sie, die Kluft zwischen dem Geschmack unserer Enkelkinder und dem, was wir gerne essen. Den Kleinen steht, ganz klar, der Sinn nach Pommes mit Ketchup oder Nudeln. Wie also umgehen mit diesem Unterschied?
Ich könnte ihnen ja einen Vortrag darüber halten, wie gesund mein Essen ist. Ich könnte mit Nachdruck kraft meiner Autorität darauf bestehen, dass gegessen wird, was auf den Tisch kommt, so haben es schon meine Großeltern gehalten, so wurden mein Mann und ich erzogen. Und spätestens dann würden ungute Erinnerungen in mir aufsteigen. Ich sehe mich noch an unserm runden Esstisch sitzen, meine Oma trägt die abendliche Milchsuppe auf, die ich so sehr hasste. Mir wurde schon schlecht beim Anblick der Milchhautfetzen, die über den aufgequollenen Nudeln waberten. »Fischen« war verboten, Milchhautfetzen diskret an den Rand schieben auch. Auch das auf den Tellerboden sinken lassen und drumherum essen wurde sofort entdeckt. Unter den wachsamen Augen der Erwachsenen musste ich dann gehorsam diese ekligen Milchhautfetzen löffeln. Den aufkommenden Brechreiz hatte ich zu unterdrücken, wollte ich nicht noch ein paar Ohrfeigen kassieren. Das anschließende Bauchgrummeln ins Feld zu führen hätte ich mich nie getraut.
Nein, das soll keine verspätete Abrechnung mit meiner Familie sein. Ich kann sie heute verstehen: Milch galt damals, als ich noch klein war, als Quelle der Ernährung und war billig. Meine Eltern hatten es finanziell nicht so dicke, aber sie konnten klug wirtschaften und so fehlte es uns Kindern an nichts. Wünschen und Wollen waren für sie als Kinder Fremdworte gewesen. Das hatte zu einer Lebenshaltung der Selbstdisziplin und des Gehorsam geführt. Nicht die schlechtesten Eigenschaften, wenn sie nicht übertrieben werden. Also wurde das Prinzip weiter gereicht. Doch auch meine Eltern waren lernfähig. Das jüngste unserer Geschwister durfte sich die Milch dann sieben.
Ich habe Milch mein Leben lang gehasst, nicht mal im Kaffee wollte ich sie haben. Auch Puddings sind nicht unbedingt meine Lieblingsspeise und beim Eis musste ich vorsichtig sein. Erst nachdem ich herausgefunden habe, dass ich an einer Lactoseintoleranz leide, entspannt sich mein Verhältnis zur Milch wieder, denn es gibt entsprechende Medikamente und Milchprodukte.
Ein wertvoller Rat, den ich vor vielen Jahren in einem Erziehungsbuch fand, hat mir geholfen, die leidige Frage von »das mag ich nicht« beim Essen zu lösen. »Pobier mal«, lautete die Zauberformel, die keine Bitte, sondern eine Aufforderung war. Ein wenig von dem verschmähten Essen musste jedes Kind probieren. (Darunter waren nie weiße Bohnen oder Ähnliches.) So wurde jeder Mäkelei schon von vornherein die Spitze genommen und das Kind konnte sich nun aufgrund von Tatsachen ein richtiges Urteil bilden. Es schmeckt mir nicht, weil… So lernten meine Kinder zu argumentieren und nicht einfach nur »bäh« zu sagen. Und sie lernten, dass Essen eine sensible Angelegenheit ist, bei der man ordentlich ins Fettnäppchen treten kann. Denn wer will schon seine Gastgeber beleidigen, indem er sich mit Abwehrhaltung an den Tisch setzt? Meine Kinder durften ihre Vorlieben und Abneigungen leben. Ich habe mich weitestgehend danach gerichtet und sie nicht gequält mit Mahlzeiten, die ihnen in schrecklicher Erinnerung bleiben würden. Und dennoch erzählen sie heute mit schauriger Wonne von dem einen oder anderen Gericht, das ihnen so zuwider war wie mir einst die Milchnudeln. Doch inzwischen sind sie älter und ihr Geschmack beginnt sich zu wandeln. Auch sie haben Linsen schätzen gelernt.
Doch was mache ich in so einer Situation mit meinen Enkeln? Klar, ich schiebe Pommes in den Backofen, denn ich bin nicht ihre Mutter. Das Erziehen überlasse ich den dazu Berechtigten. Ganz unter uns: Pommes gibt es höchstens mal aller zwei Wochen, die andere Zeit essen sie in der Schule, im Kindergarten oder daheim. Und da werden richtige Mahlzeiten verabreicht. Und wer weiß, vielleicht beginnen sie eines Tages auch, Linsen zu mögen?
Einen entspannten Umgang mit Ihren Enkeln wünscht
Marianne Kopp