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Großelternbrief Nr. 27
Zitat: Das Perfekte ist der Feind des Guten.
Nein, ich bin nicht perfekt. Mein Mantel ist manchmal falsch zugeknöpft und ich laufe so in der Öffentlichkeit herum. Offene Reißverschlüsse an der falschen Stelle bringen mich in peinliche Situationen. Auf unserm Teppich liegen Krümel, in den Bücherregalen Staub. Alles andere als perfekt, oder? Wenn Sie mich manchmal so reden hören könnten, ein krasser Gegensatz zu meinem Geschriebenen. Ich bin nicht perfekt – und wäre es doch so gerne! Ich bewundere Großmütter, die stets adrett gekleidet sind, innere Ruhe ausstrahlen und anscheinend mühelos ihre Enkelkinder handhaben. Deren Wohnung aufgeräumt sind und die einen ganz entspannten Eindruck machen. In meinen Augen bewundernswerte, perfekte Menschen.
Eigenschaften, die uns im Vergleich mit andern fehlen, überhöhen wir gerne. Schneller den Haushalt bewältigen, und wir wären perfekt. Besser die Gemeinheiten des Nachbarn parieren zu können, und wir wären perfekt. Nicht zu vergessen, die finanziellen Gegebenheit, ein bisschen mehr auf dem Konto, vielleicht auch ein Lottogewinn – und alles wäre perfekt?
Wir merken es spätestens jetzt: Perfektion bedeutet für jeden etwas anderes. Für die einen ist es die aufgeräumte Küche, die andern der Sprung auf der Karierreleiter, wieder andere wünschen sich Partnerschaft und Familie in Perfektion. Würde man sie bitten, konkret zu bennen, was genau denn hierbei perfekt sein sollte, kämen sie wohl ins Stottern. Einen Partner, eine Partnerin, die uns vollkommen versteht, Kinder und Enkel, mit denen wir uns vollkommen verstehen, oder so ähnlich. Der Maßstab, den wir hierbei zugrunde legen ist aber, und das müssen wir in solchem Falle ehrlich eingestehen, kein objektiver. Sondern ein sehr persönlicher. Ich möchte, dass meine Familie nach meiner Pfeife tanzt, das tut, was mir zu meinem persönlichen Glück zu fehlen scheint, sich vollkommen nach mir und meinen Bedürfnissen richtet. Wäre das Ihre Definition von Perfektion?
Bedenken Sie, dass die meisten Weiterentwicklungen aus Misserfolgen, sprich, Fehlern, entstanden sind. Durch Probieren und Verwerfen und den richtigen Schlüssen, woraus ein großes Maß an Beharrlichkeit und Durchsetzungsvermögen entstehen kann. Durch Fehler und Misserfolg zum Erfolg zu kommen und zu begreifen: Fehler gehören dazu, Fehler müssen sein, Fehler zu machen ist wichtig für die Entwicklung in jedem Alter. Denn: Aus Fehlern lernt man, wie der Volksmund schon richtig sagt. Wer kennt nicht das Gefühl der Ohnmacht, nachdem man versehentlich auf der Computertastatur die Löschtaste gedrückt hat? Für gewöhnlich unterlaufen einem solche Kardinalfehler wirklich nur ein einziges Mal. Weil wir aus Schaden doch klug geworden sind.
Verkneifen Sie es sich, liebe Großeltern, den Enkeln einzureden: Das kannst du noch nicht, wenn sie sich (altersgerecht, versteht sich) an verschiedenen Aufgaben mühen. Einen Knopf anzunähen erfordert Übung, Staubsaugen will auch erlernt sein. Ganz zu schweigen vom Umgang mit dem Kochherd. Kalkulieren wir also ein, dass die Knöpfe beim ersten Mal nicht an der richtigen Stelle sitzen, und wir nach dem Staubsaugen einen Hauslatschen aus dem Rohr ziehen, oder den total eingebrannten Topfboden einer Sonderbehandlung unterziehen müssen, nachdem der Enkel versucht hat, Pudding zu kochen. Wer gnädig Fehler seines Umfeldes toleriert, wird bald erleben, dass solche Großzügigkeit nicht ohne Folgen bleibt. Man wird auch Ihnen und Ihren Fehlern gegenüber nachsichtig sein. Bei diesem Geben und Nehmen pfeifen wir doch gerne auf Perfektion.
Einen entspannten Umgang mit Ihren Enkeln
wünschen Ihnen
Marianne und Reinhard Kopp
Großelternbrief Nr. 17
Zitat: Wenn ich mein Leben noch einmal leben könnte, würde ich versuchen, mehr Fehler zu machen. Ich würde nicht mehr so perfekt sein wollen, ich würde mich mehr entspannen. Ich würde versuchen, nur mehr gute Augenblicke zu haben. Falls du es noch nicht weißt, aus diesen besteht nämlich das Leben; nur aus Augenblicken; vergiss nicht den jetzigen. J.L.Borges
Liebe Großeltern,
Beim nächsten Mal wird alles anders – haben Sie sich das nicht im Laufe Ihres Lebens auch dutzende Male geschworen? Beim nächsten Kind, dem nächsten Job oder vielleicht der nächsten Partnerschaft? Nochmal anfangen können, etwas besser machen, klüger handeln, durchdachter agieren. Perfekter sein wollen. Genau das Gegenteil drückt der argentinische Schriftsteller Jorge Luis Borges aus: Beim nächsten Mal wird alles anders, nämlich unperfekter. Wir wollen mit jedem Mal perfekter werden, Fehler werden als schlimme Makel angesehen, als ehrenrührig. Wer Fehler macht, gibt sich die Blöße. Darum sind wir so beschäftigt damit, Fehler zu vermeiden oder gar zu vertuschen. Das mag im Beruf vielleicht gelingen, aber in Familie und Partnerschaft? Unsere Kinder kennen uns genau, erstaunlicherweise oft besser, als wir uns selber. Unmöglich, unsere Fehler vor ihnen zu verbergen. Ja, gebe ich unumwunden zu, wenn meine Kinder mich darauf ansprechen, ich habe mit Sicherheit Fehler gemacht beim Umgang mit euch. Fehler, die nicht wieder gutzumachen sind, Fehler, die mir sehr leidtun, Fehler, die ich vielleicht nach meinem heutigen Wissen nicht mehr machen würde. Aber sie sind passiert und, auch du wirst Fehler machen, mein Kind, Fehler im Umgang mit deinen Kindern, Fehler, die nicht wieder gutzumachen sind und dir im Abstand der Jahre auch einmal schmerzhafte Erinnerungen bereiten werden.
Nur dem werden seine Fehler zu Fesseln oder Schlingen, der nicht bereit ist, sie zuzugeben. Wer dazu steht, aus ihnen lernt, für den können Fehler sogar einen Gewinn bedeuten, weil er auf diese Weise im Leben vorwärtskommt.
Es ist nicht der Perfekte, der mehr vom Leben hat, sondern der Ehrliche. Wenn wir als Großeltern echter werden könnten, ehrlicher und offener, hätten wir mit Sicherheit auch mehr gute Augenblicke. Wir müssten nicht so tun, als hätten wir sämtliche Weisheit gepachtet und sei unser Wort das einzig wahre. Wir brauchten uns nicht mehr über unsere Kinder und Enkel zu ärgern, sondern wären viel gelassener im Umgang mit ihnen. Denn, wenn wir nicht perfekt sind, wen sollte es wundern, dass unsere Kinder und Enkel es auch nicht sein müssen. Eine ganze Familie, mehrere Generationen dürften sich darauf konzentrieren, den Augenblick zu genießen und damit das Leben. Welch ein positiver Einfluss ginge damit von uns Großeltern aus, wenn wir unsern Platz als Bedenkenträger verließen und stattdessen wieder ein wenig vom jugendlichen Leichtsinn hätten. Das würde ein vorwärtsgewandtes und nicht rückwärtsgerichtetes Leben bedeuten, lernwillig und selbstbestimmt. Wir müssten nicht mehr über die Fehler der andern schimpfen, weil unser Humor genug mit unsern eigenen zu tun hätte. Fehler wären nicht mehr peinlich, sondern nur noch lästig, weil sie manchmal zurückwerfen, Umstände machen oder Schwierigkeiten. Wir korrigieren unsere Fehler, leisten gegebenenfalls Wiedergutmachung, aber haben dennoch nicht das Gefühl, unser ganzes Leben sei nun aus dem Ruder gelaufen und alle zeigten mit Fingern auf uns. Wer zu seinen Fehlern steht, muss sich nicht schämen! Wenn Oma und Opa statt Schuldverschiebung Einsicht üben, gehen sie mit gutem Beispiel voran und können die vielen Lebensaugenblicke voll genießen.
Einen entspannten Umgang mit Ihren Enkeln wünscht Ihnen
Marianne Kopp