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Großelternbrief Nr. 18
Zitat: Es gibt kein Alter, in dem alles so irrsinnig intensiv erlebt wird wie in der Kindheit. Wir Großen sollten uns daran erinnern, wie das war. (Astrid Lindgren)
Liebe Großeltern,
noch immer besitze ich jene Babypuppe, die für mich unterm Weihnachtsbaum saß, als ich fünf oder sechs Jahre alt war. Sie hat die Größe eines wirklichen Babys, einen Kopf aus Pappmaché, gemalte Haare und inzwischen einen ausgeschlagenen Schneidezahn. Wird sie bewegt, weint sie. Ich weiß nicht, wie oft diese Puppe schon beim Puppendoktor war, weil irgendjemand ihr wieder mal die Schlafaugen eingedrückt hatte. Als Kleinkind besaß ich eine Unmenge Puppen, diese ist allein übriggeblieben. Weder meine Kinder noch meine Enkelkinder dürfen sie in die Hand nehmen, darum liegt sie wohl verwahrt zwischen anderen aufhebenswerten Dingen in der Abstellkammer.
Dieser Tage las ich in einer Zeitschrift vom »Teddybär-Effekt«. Eine amerikanische Wissenschaftlerin fand heraus, dass sich Menschen, die einen Gegenstand aus ihrer Kindheit in Sichtweite stehen haben, sozialer verhalten. Sie werden geduldiger und nachgiebiger, liebevoller und weicher in ihrer Wahrnehmung und ihrem Denken.
Kindheit verbinden wir im Allgemeinen mit einer Phase der Reinheit, der Unschuld, aber auch der Kreativität, der Unbeschwertheit. Kindheit ist die Zeit, wo wir beschützt wurden.
Als Kinder waren wir draufgängerisch, abenteuerlustig und experimentierfreudig. Wir kannten keine Gefahr und keine Bedenken, als wir draußen herumtollten. Wir wollten die Welt entdecken und lebten nur im Hier und Jetzt. Wer wusch den Flecken aus dem Kleid und flickte die zerrissene Hose? Das war die Sorge der Erwachsenen, nicht unsere.
Kindheitserinnerungen machen uns empathischer für die Not anderer. Das trifft sogar auf Menschen zu, die negative Kindheitserinnerungen haben.
Darum gestatte ich mir jetzt eine andere Schlussfolgerung. Wenn schon das Betrachten von Gegenständen, die wir mit der Kindheit verbinden, uns zu besseren Menschen macht, warum sollten dann nicht unsere Enkelkinder den gleichen Effekt auf uns Großeltern ausüben? Enkelkinder, die in unserer Nähe sind, unsere Zeit beanspruchen und unsern tatkräftigen Einsatz geben uns also unbewusst ganz viel zurück. Der Umgang mit den Enkelkindern bewahrt uns vor Starrsinn und Unbeweglichkeit. Unsere Enkelkinder verhelfen uns zur Flexibilität, zu einem sozialeren Leben. Oder, um es mit den Worten auszudrücken, die von jeher mit Großeltern in Verbindung gebracht werden: Enkelkinder verhelfen uns zu einem Leben in Güte und Weisheit.
Durch den Umgang mit den Enkeln können wir wieder ein Stück in die eigene Kindheit abtauchen und das Leben in anderer Qualität genießen.
Darum wird es jetzt Zeit für den Teddybär-Effekt. Dazu muss ich nicht erst meine Puppe aus dem Karton befreien.
Einen entspannten Umgang mit Ihren Enkeln wünscht Ihnen
Marianne Kopp